2020/08/10

Bildungspolitik - Katastrophe oder Paradies?

 Viel wurde in letzter Zeit geschrieben über den Abstieg der Bildung in der westlichen Welt. Nun, daran gibt es nichts herumzudeuteln. Das Bildungsniveau sinkt. Und üblicherweise bricht dann das große Bedauern und Wehklagen aus: Maturanten bzw. Abiturienten sind zum Teil nicht studierfähig, Mathematikkenntnisse Mangelware, sprachliche Fertigkeiten unzureichend. 

All das ist faktisch gut belegt. Aber wir sollten uns fragen, ob durch diese Klagelieder irgendetwas besser geworden ist. Und auch hier ist die Antwort einfach: nein. Trotz zahlreicher Warnworte aus Professorenmund (und auch von anderer Stelle) hat sich an der Misere nichts geändert. Der Abstieg geht weiter. 

Wenn man etwas beklagt, und es ändert sich nichts, muss man sich ernsthaft die Frage nach dem Warum stellen. Denn es ist ja nicht so, dass diese Entwicklung von den Menschen (auf der Straße) unbemerkt geblieben ist. Im Gegenteil: auch ohne lautstarke Meinungsbekundungen (die meisten leiden still vor sich hin) versuchen immer mehr Leute ihre Kinder an möglichst prestigeträchtige Universitäten zu schicken (in den USA gab es dazu kürzlich einen kleineren Skandal, mit Schmiergeldern und so), um sich so von der Masse etwas abzugrenzen und das berufliche Fortkommen (so die Hoffnung) zu erleichtern. Das Ganze nimmt mitunter groteske Züge an. 

Nun halten wir fest: Es gibt einen Missstand im Bildungswesen, die Menschen wissen darum oder ahnen es wenigstens, aber keiner sagt etwas, aus welchem Grund auch immer. Und die Handlungen der Menschen laufen auf eine Vermeidung oder wenigstens Verminderung dieses Missstands hinaus, so als wäre es das Natürlichste auf der Welt. Auf die Idee, diejenigen, die ihnen diese Suppe eingebrockt haben, zu Rechenschaft zu ziehen, kommen sie nicht. Merkwürdig, nicht wahr? 

Angesichts dieses bemerkenswerten Umstandes fiel mir unlängst ein Artikel auf, der die offenkundige Bildungsmisere aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Anstatt sich auf die ewige Wiederkehr des Wehklagens einzulassen resümiert dort ein US-Professor die Situation wie folgt: 

Wir haben die schlechte und unhinterfragte Gewohnheit angenommen, zu denken, dass unser Bildungssystem kaputt ist, aber es funktioniert in vollem Maße. Was unser Bildungssystem produzieren will, ist kulturelle Amnesie (Gedächtnisstörung, hl.),  einen Wald an Wissensvermittlung, der sich u. a. aus „soziale Gerechtigkeit“ und „kulturelle Kompetenz“ zusammensetzt.

Da haben wir's. Das Bildungssystem liefert genau das, was wir von ihm erwarten. Geliefert, wie bestellt, um mit Danisch zu sprechen. 

Und vielleicht liegt in jener Aussage der Schlüssel zum Verständnis des oben geschilderten Paradoxons, das die Nutzung unseres Bildungssystem bei weitgehender Vermeidung seiner Konsequenzen ausweist. 

Es war die sogenannte Bildungsoffensive der 1970er Jahre, deren Ziel es war, alle Talente in der Gesellschaft zum Erblühen zu bringen, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Ein hehres Ziel, wer könnte etwas dagegen haben. Ich selbst war Teil dieser Bildungsgeneration, deren Messlatte sich noch an denen der Vorgängergeneration orientierte. Kostenlose Schulen, kostenlose Studien. Damit wurden Wahlen gewonnen. 

Aber wie das so ist: Die Tür, die einmal offen war, ließ sich nie wieder schließen. Nicht, dass dies wünschenswert wäre. Man verstehe mich nicht falsch. Der Zugang zu Bildung sollte jedem offen stehen. Gleichzeitig sollten jedoch Standards nicht abgesenkt werden. Und genau letzteres trat im Laufe der Zeit ein. Und auch damit wurden Wahlen gewonnen. 

Aus meiner Volksschulklasse von rund 30 Kindern durften, wenn ich mich recht entsinne, nur drei (vielleicht waren es auch fünf) aufs Gymnasium. Das war 1972. Ein derartig geringer Prozentsatz würde in unseren Tagen einen Skandal nach sich ziehen. 

War also zu meiner Schulzeit der Gang aufs Gymnasium noch ein "Privileg" jener, die entsprechende Leistungen erbrachten, so ist es inzwischen zu einem "Muss" geworden, alles andere wäre - in den Augen vieler - ein sozialer Abstieg. 

Die Menschen wollten höhere Bildung und haben sie bekommen. Dass dafür ein Preis zu entrichten ist, hat ihnen niemand gesagt. Die Flutung der höheren Schulen und Universitäten hat zu einer Entwertung der Abschlüsse geführt und gleichzeitig zu einem Mangel an Facharbeitern. 

Und noch immer schwadronieren sogenannte Experten davon, dass Bildung demokratisiert werden muss, will heißen: Jeder sollte letztlich alles erreichen können. Der Selektionsprozess wird zunehmend außer Kraft gesetzt. Wurden nicht erst kürzlich die Abiturnoten mancherorts nachträglich nach oben korrigiert? 

Wie lange wird das eigentlich noch weitergehen? 



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