Gemeinhin gilt Donald Trump als Erfinder der alternativen Fakten. Doch weit gefehlt! Alternative Fakten gibt es schon wesentlich länger.
Es muss etwa um das Jahr 1985 gewesen sein. In meinem Bekanntenkreis gab es einen studierten Historiker, Geschichtslehrer an einem Wiener Gymnasium, dazu noch Mitglied im BSA (Bund Sozialistischer Akademiker, so hieß das damals). Man muss dazu wissen, dass es damals (und wohl auch noch heute) durchaus üblich war, ein rotes Parteibuch zu besitzen, wenn man im roten Wien Lehrer werden wollte. In anderen Bundesländern hing die Farbe des Parteibuch von der Farbe der jeweiligen Landesregierung ab.
Also dieser Historiker war ein Sozi. Kein radikaler, aber ein durchaus bewusster, soll heißen, es kostete ihn nicht allzu viel Überwindung, der Partei beizutreten.
Jedenfalls sagte mir dieser Geschichtslehrer eines Tages folgendes:
"Das heilige römische Rein deutscher Nation hat es nie gegeben."
Erstaunlich, nicht wahr? Wenn damals, Mitte der 1980er Jahre, das Bedürfnis nach Umschreibung der Geschichte in einigen Zirkeln bereits so ausgeprägt war, darf man sich nicht wundern, wenn dieser Trend sich bis in unsere Tage fortgesetzt hat.
Natürlich lassen sich geschichtliche Ereignisse unterschiedlich interpretieren. Aber auch diese Ereignisse kristallisieren sich stets um harte Fakten, die nicht in Abrede gestellt werden können. Oder könnte man sich vorstellen, Julius Caesar habe nie gelebt, nur weil seine Person einer bestimmten Ideologie nicht ins Konzept passt?
Es scheint eine Tendenz zu geben, den (objektiven) Fakten nicht mehr zu vertrauen. Stattdessen genügt es bereits, ein Gerücht in Umlauf zu setzen, um jemanden verurteilen zu können ohne Rücksicht auf die Faktenlage.
Hierzu wieder eine persönliche Anekdote. Es muss gegen Ende der 1980er Jahre gewesen sein, als ein sehr aufgeweckter und intelligenter Studienkollege einen Kommentar zum Fall Waldheim abgab, der mich ebenfalls staunend zurückließ. Er meinte sinngemäß, dass es in Zukunft wohl schon genügen müsse, einen bloßen Verdacht gegen jemanden zu haben, um diesen Jemand aus dem Rennen zu nehmen. MeToo war wohl damals schon in einigen Köpfen präsent. Der Studienkollege war in seinen Einstellungen das, was man als linksliberal bezeichnen würde, auf keinen Fall radikal, sondern eigentlich "ganz normal", also Mainstream im universitären Bereich, auch was die Naturwissenschaften betrifft.
Der aktuelle Zustand der Universitäten ist weder ein Produkt des Zufalls noch ein unabwendbares Schicksal, sondern das Ergebnis eines lang andauernden Prozesses, der seine Ursprünge in den 1970er Jahren hat. Bestimmte Leute haben auf diesen Zustand hingearbeitet und auf dem Weg dahin keinerlei Widerstand gefunden.
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