2019/04/27

Die "Kompetenz" der Inkompetenten

Es gibt gewisse Themen, da meinen viele, allzu viele, sie könnten mitreden. Ja mehr als das, sie meinen sogar, ein qualifiziertes Urteil abgeben zu können.

Aber seien wir ehrlich: In den meisten Bereichen sind die meisten schlicht ahnungslos. Kann man sich eine breite Internet-Diskussion darüber vorstellen, wie Volkswagen seine Autos herstellen soll? Oder etwa wie Office-Pakete programmiert werden sollen?

Ich bin Naturwissenschaftler und an vielen Dingen interessiert. Aber zu den oben genannten Themen (und etlichen mehr) kann ich bestimmt nichts Entscheidendes beitragen. Dafür gibt es schließlich Fachleute.

Ich kann auch nichts Grundlegendes zum Thema "Glyphosat" oder Schädlingsbekämpfungsmittel im weitesten Sinne sagen. Kenne mich da nicht aus und habe auch nicht die Zeit, mich in die Materie einzulesen. Wie viele Experten gibt es überhaupt zu diesem letztgenannten Thema? Wahrscheinlich nur sehr wenige. Wie in allen Bereichen, die ein hohes Maß an Spezialkenntnissen erfordern.

Umso erstaunlicher, dass gerade hier etliche selbsternannte "Experten" immer wieder zur Höchstform auflaufen. Man hat den Eindruck, als hätten gefühlte 30 Prozent der Bevölkerung Agrarchemie studiert, um in Internetforen ihre Fachkenntnisse unters unwissende Volk zu bringen.

Meine Großeltern stammten noch aus dem Bauernstand. Sie haben selbst Hand angelegt und waren mit der Arbeit eines Landwirts bestens vertraut. Sie kannten die Arbeit auf dem Feld und wussten, wie man in hügeligem Gelände ein schwer beladenes Pferdefuhrwerk sicher auf den Hof bringt. Seit jenen Tagen sind fast hundert Jahre vergangen und die Arbeitsprozesse auf dem Bauernhof haben eine dramatische Umwälzung erfahren. In den 1970er Jahren galt in unserer Gegend ein Bauer mit 30 Kühen bereits als "groß". Die Betriebe waren damals im Schnitt etwas kleiner als heute, und die Bauersleute legten beim Melken noch selbst Hand an.

Kürzlich besuchte ich einen Bauern (in einer anderen Gegend). Der hat fast 200 Kühe, die automatisch gemolken werden. Und zwar rund um die Uhr. Eine Kuh, die ihre Milch los werden möchte, macht sich auf den Weg zur computergesteuerten Melkanlage. Am Eingang wird ihre Erkennungsmarke gescannt. Die Maschine erkennt das Tier und weiß dann, wie sie ihre Saugnäpfe platzieren muss, um die Kuh optimal zu melken. Bevor es zur Sache geht, wird das Euter gewaschen, um Verunreinigungen der Milch zu vermeiden. Während des Melkvorganges werden die Zitzen, die bald leerlaufen, abgekoppelt, während die anderen weiterlaufen, um eine unnötige Belastung des Euters zu vermeiden. Gleichzeitig werden verschiedene Parameter der gewonnenen Milch gemessen, etwa der Fettgehalt etc. Selbstverständlich werden alle Parameter in einer Datenbank abgespeichert. Ist mit der Kuh irgendetwas nicht in Ordnung, fällt das bereits auf, bevor sie äußerliche Symptome zeigt.

Wie gesagt, ich bin kein Experte, was moderne Landwirtschaft betrifft. Was mir aber spätestens bei diesem Besuch klar wurde, ist, dass der Bauer unserer Tage nicht mehr jener Dummy ist, dessen Klischee nach wie vor in unseren Kopfen herumgeistert. Landwirtschaft ist eine High-Tech-Angelegenheit geworden, die viel spezialisiertes Wissen erfordert. Und das gilt nicht nur für den Stall, sondern auch für die anderen Bereiche, etwa das Feld. Auch hier gibt es neue Arbeitstechniken - und chemische Substanzen, die früher einfach nicht existierten.

Warum ich das alles schreibe? Nun, hier ist ein Artikel, der sehr schön zum Ausdruck bringt, dass die Kompetenz der Inkompetenten auch vor der Landwirtschaft nicht Halt macht.

Vor hundert Jahren, als meine Großeltern noch im Kindesalter waren und bereits auf dem Hof mithelfen mussten (Achtung Kinderarbeit!), lag der Anteil der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft bei 38 %. Jetzt (2019) sind es weniger als 2 %. Entsprechend sollte es auch in der Bevölkerung nur relativ wenige Leute geben, die ein fundiertes Urteil über die Arbeit eines Landwirts abgeben können. Dieses Verhältnis ist jedoch bei Internetdebatten zu diesem Themenkreis nicht gegeben. Stattdessen meint man einen wesentlich größeren Anteil der Bevölkerung vor sich zu haben, der seine Meinung kundtut.

Aber vielleicht sind es ja nur relativ wenige, die durch ihre anscheinende Omnipräsenz und Lautstärke eine wesentlich größere Menge an "Fachkundigen" vortäuschen. Keine Ahnung.

Es ist jedoch durchaus die Frage zu stellen, ob all diese "Experten" wirklich so kenntnisreich sind, wie sie uns glauben machen wollen. Im Zweifel wäre ich eher geneigt, dem Mann vor Ort zu glauben, und das ist nun mal der Bauer. Denn er kennt die Verhältnisse auf seinem Acker besser als jeder andere. Was jedoch nicht ausschließt, dass auch er Interessen hat, die einer objektiven Bestandsaufnahme entgegenstehen können.






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