2018/02/10

Wahrscheinlichkeiten

In den Medien (und nicht nur dort, dort dafür aber besonders intensiv) wird oft mit Wahrscheinlichkeiten hantiert, vor allem natürlich mit der Absicht, die Leser zu beeindrucken oder ihr Denken in eine bestimmte Richtung zu lenken. Nun stammen die allermeisten dieser Zahlen gar nicht von den Medienleuten selbst, sondern aus diversen "Studien", deren Qualität gelegentlich selbst zu wünschen übrig lässt.

Vor nicht allzu langer Zeit wurde irgendwo darauf hingewiesen, dass die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Terroranschlags zu werden, bedeutend geringer ist, als zu Hause von der Leiter zu fallen und sich das Genick zu brechen. Das ist ein sehr interessantes Beispiel, weil es die Schwächen eines derart instrumentalisierten Wahrscheinlichkeitsbegriffs schön aufzeigt.

Dazu zunächst einmal die Frage: Wie werden Wahrscheinlichkeiten berechnet? Nun, im oben genannten Beispiel nimmt man die Anzahl der Opfer von Terrorattacken in einem bestimmten Gebiet (z.B. Frankreich) innerhalb eines bestimmten Zeitraums (z.B. ein Jahr) und dividiert durch die Anzahl der in diesem Gebiet lebenden Menschen. Und schon hat man x% Wahrscheinlichkeit dafür, einem Anschlag zum Opfer zu fallen.

Genauso hält man es mit der Vergleichsgröße. Da werden die Leiterstürze zusammengezählt und durch die Gesamtpopulation dividiert. Wieder erhält man eine Wahrscheinlichkeit von y% für das entsprechende Ereignis. So weit, so einfach.

Und genau hier hören die meisten Leute (und natürlich auch die Medienschreiber) zu denken auf. Dabei beginnt es erst hier richtig interessant zu werden. Ein Blick auf die Opfer kann dabei helfen.

Fangen wir mit den Leitern an. Babys und alte, gebrechliche Menschen steigen üblicherweise nicht auf Leitern. Dazu kommen eine Reihe anderer Leute, die aus bestimmten Gründen, etwa weil sie keine Leiter haben oder ihnen leicht schwindlig wird, niemals auf eine Leiter steigen. Außerdem gibt es unterschiedliche Frequenzen, mit denen Leitern benutzt werden. Für Maler und Anstreicher etwa ist die Benutzung einer Leiter täglicher Teil ihres Berufs. Andere Menschen steigen vielleicht nur einmal alle 10 Jahre auf eine Leiter. Es ist sofort intuitiv klar, dass die Unfallswahrscheinlichkeiten dann auch sehr unterschiedlich ausfallen können.

Es ist also unsinnig, die Wahrscheinlichkeit eines Leitersturzes mit Bezug auf die gesamte Bevölkerung zu berechnen. Würde man hingegen die Zahl jener Leute, die tatsächlich innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine Leiter benutzen, als Bezugsgröße nehmen, erhielte man die korrekte Wahrscheinlichkeite. Diese Zahl herauszufinden, ist natürlich nicht trivial. Wir sollten aber dennoch versuchen, sie abzuschätzen.

Also ziehen wir von der Gesamtbevölkerung alle Babys unter einem Jahr, alle älteren Menschen über 70 Jahren sowie eine unbekannten Anzahl von grundsätzlich Leiterscheuen ab, dann kommen wir der Realität schon bedeutend näher. Gut, es mag den einen oder anderen 75jährigen geben, der gelegentlich auf einer Leiter turnt. Ich halte das aber eher nicht für repräsentativ. In jedem Fall, ist das, was wir hier tun, nur eine Abschätzung. Denn de facto ist es unmöglich zu wissen, wie viele Leute nun tatsächlich eine Leiter benutzen oder nicht. Ich würde mal grob auf 50% der Bevölkerung tippen. Und damit wäre die Wahrscheinlichkeit eines Leiterunfalls schon zweimal so hoch wie von den Medien kolportiert.

Wie sieht es nun auf Seiten der Terroropfer aus? Ist es hier gerechtfertigt, die Opferwahrscheinlichkeit auf die Gesamtbevölkerung zu beziehen? Ich meine nein. Denn das Risiko, Opfer zu werden ist in unterschiedlichen Segmenten der Bevölkerung sehr unterschiedlich verteilt. Man sehe sich die Opfer der Attacken von Paris an. Deutlich überwiegend junge Leute unter vierzig Jahren, die gerne abends ausgehen. Genauso war es auch in Manchester.

Wenn man etwas gründlicher darüber nachdenkt, wird klar, dass sich die beiden Kategorien Terroranschlag und Sturz von der Leiter nicht so ohne weiteres vergleichen lassen. Der Terrorist will möglichst viele Menschen zu Tode bringen und sucht sich deshalb Plätze, die von vielen Leuten frequentiert werden. Alle Arten von Ereignissen, die in erster Linie junge Menschen in größeren Massen anziehen, sind deshalb bevorzugte Ziele. Ältere Menschen sind auf solchen Events eher selten anzutreffen. Und dann gibt es noch Unterschiede zwischen Stadt und Land, was die Häufigkeit von Anschlägen betrifft. Eine Gleichverteilung der Wahrscheinlichkeit innerhalb der Bevölkerung existitert schlicht und einfach nicht.

Auch wenn es auf den ersten Blick sehr plausibel erscheint, deutlich unterschiedliche Ereignisse hinsichtlich ihrer Wahrscheinlichkeiten zu vergleichen, so ist dennoch äußerste Vorsicht angebracht. Allzu oft fallen bestimmte Aspekte unter den Tisch, bewusst oder unbewusst, die aber dazu angetan sind, das Ergebnis entscheidend zu verändern. Das sollte man sich vor Augen halten, wenn Wahrscheinlichkeiten in den Medien auftauchen.





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